Essbare Wildpflanzen als Notnahrung – Wiesen & Saum
Dieser Abschnitt bündelt robuste, weit verbreitete Arten, die in Mitteleuropa fast überall zu finden sind. Für den Einsatz in der Notküche zählt weniger das „Kann man essen?“ als die Umsetzung im Feld: Woran erkenne ich die Art sicher? Welche Teile lohnen sich zu welcher Zeit? Wie bereite ich so auf, dass Brennhaare, Bitterstoffe oder Oxalate kein Problem sind? Und schließlich: Wie kombiniere ich volumenstarke Grünmasse mit Kalorienquellen wie Samen, Nüssen oder stärkereichen Wurzeln, so dass echte Sättigung entsteht? Die folgenden Porträts liefern jeweils einen zusammenhängenden Überblick, dazu kompakte Verarbeitungstabellen, eine praxistaugliche Ration und kleine Rechner.
Brennnessel – Urtica dioica

Die Große Brennnessel ist ein Paradebeispiel für verlässliche Notnahrung: Sie wächst dort, wo Menschen leben, trägt im Frühjahr zarte Blattspitzen und im Spätsommer schwere Samenrispen. Die Erkennung ist eindeutig: grob gesägte, gegenständige Blätter, ein vierkantiger Stängel und dichter Besatz an Brennhaaren. Die Blätter liefern Volumen, Mineralstoffe und etwas Protein; die Samen – nach vollständigem Trocknen und kurzem Trockenrösten – bringen nussiges Aroma und deutlich mehr Kalorien. Zusammen decken sie das Duo aus Masse und Sättigung, das draußen zählt.
Schritt | Aktion | Erfolg | Hinweise |
---|---|---|---|
1. Ernte | Obere 2–4 Blattpaare schneiden; im Spätsommer weibliche Samenrispen streifen | Zarte Blattmasse; braune, vollreife Samen | Standorthygiene prüfen |
2. Reinigen | Kurz spülen; Samen auf Tuch ausbreiten | Klares Wasser, keine Krümel | Blätter nicht „wässern“ |
3. Entschärfen | Blätter blanchieren/rollen | Kein Brennen | Blanchierwasser verwerfen |
4. Trocknen | Samen 1–2 Tage luftig nachtrocknen | Freifließend | Dünn ausbreiten |
5. Rösten | Samen trocken rühren bis nussig duftend | Leicht knusprig | Nicht bräunen |
6. Nutzung | Blätter als Gemüse; Samen als Topping/Mehlstreckung | Rundes Aroma | Mit Fett/Stärke koppeln |
Ration: Brennnessel–Samen–Pfanne
Ziel: Blattvolumen + Samenenergie in einem Gang.
- Junge Nesseln (blanchiert) 250 g ≈ 80–100 kcal
- Geröstete Samen 25 g ≈ 100–130 kcal
- Optional 10 g Fett ≈ 90 kcal; Salz, Spritzer Essig
Vorgehen: Blätter ausdrücken, kurz in Fett schwenken, würzen → Samen am Ende einrühren. ~180–320 kcal je nach Fettzugabe.
Brennnesselsamen – Ernte → Kalorien (Schätzung)
Ergebnis: –
Vogelmiere – Stellaria media

Vogelmiere bildet saftige Matten in Gärten, an Wegrändern und auf Brachen. Charakteristisch sind die kleinen eiförmigen Blätter und die feine Haarlinie entlang nur einer Stängelseite. Ihr Geschmack ist mild, fast „salatig“ – ideal, um bittere Mischpartner zu zähmen. In der Notküche liefert sie Volumen und Vitaminimpulse, Kalorien müssen separat kommen.
Schritt | Aktion | Erfolg | Hinweis |
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Ernte | Zarte Triebspitzen schneiden | Frische, helle Blattmasse | Kein stark gedüngter Rasen |
Reinigung | Matte ausschütteln, unter Wasser wiegen | Sand frei | Insekten ausspülen |
Nutzung | Roh oder kurz dämpfen | Milde, saftige Beikost | Mit Fett/Säure runden |
Ration: Vogelmiere–Hasel–Mix
Ziel: Frisches Volumen + Nussenergie.
- Vogelmiere 150 g ≈ 35–45 kcal
- Geröstete Hasel 25 g ≈ 155–165 kcal
- Spritzer Essig/Sirup, Salz
Vorgehen: Miere grob schneiden, würzen → Nüsse kurz anrösten und darübergeben. ~200–210 kcal.
Giersch – Aegopodium podagraria

Giersch füllt mit jungen Blättern Pfannen und Fladen mit einer angenehmen Petersilien-Möhre-Note. Sicheres Erkennen ist Pflicht: dreizählig gefiederte Blätter (3×3), deutlich scheidiger Blattstiel, beim Zerreiben aromatischer Petersiliengeruch, Stängel nicht gefleckt. Ältere Blätter werden herber – dann als Würzanteil nutzen.
Schritt | Aktion | Erfolg | Hinweise |
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Ernte | Nur sehr junge Blätter | Zart, aromatisch | Ältere nur als Würze |
Reinigung | Sand/Erde gründlich ausspülen | Klar | Sauberen Standort wählen |
Zubereitung | Kurz dämpfen oder in wenig Öl ansetzen | Grün bleibt | Mit Stärke/Fett kombinieren |
Ration: Giersch–Bucheckern–Pfanne
Ziel: Würze + Fett/Protein.
- Giersch 200 g ≈ 60–70 kcal
- Geröstete Bucheckern 40 g (erhitzt) ≈ 220–240 kcal
- Salz, Zwiebelwildling optional
Vorgehen: Giersch kurz garen → Bucheckern am Ende unterheben. ~280–310 kcal.
Spitzwegerich – Plantago lanceolata

Die schmale Rosette mit 3–7 kräftigen Längsnerven macht Spitzwegerich unübersehbar. Junge Blätter liefern ein mildes Grün, die Blütenknospen entwickeln beim Trockenrösten ein überraschend pilziges Aroma. Als Volumen- und Würzkomponente vielseitig.
Teil | Verwendung | Erfolg | Hinweise |
---|---|---|---|
Junge Blätter | Kurz dünsten/als Einlage | Mild, grün | Fasern entfernen/fein schneiden |
Blütenknospen | Trocken anrösten | Pilzartig | Nur mittlere Hitze |
Getrocknete Blätter | Tee | Sanft | Dunkel lagern |
Ration: Wegerich–Knospen–Röster über Fladen
- Geröstete Knospen 10 g ≈ 20–25 kcal
- Blätter (kurz gedünstet) 120 g ≈ 35–40 kcal
- Basis: 1 Eichel-/Kartoffelfladen 120–180 kcal
Vorgehen: Fladen trocken nachrösten → Blätter darauf → Knospen darüber. ~175–245 kcal.
Löwenzahn – Taraxacum officinale agg.

Löwenzahn ist das Arbeitstier der Wiese: junge Blätter für bittere Frische, Blüten für sirupartige Süße, Wurzeln (Herbst/Winter) als aromatischer, koffeinfreier „Kaffee“ nach kräftigem Trockenrösten. Bitterkeit der Blätter lässt sich durch Wässern/Blanchieren und den Verbund mit Fett und Säure kontrollieren.
Teil | Technik | Erfolg | Hinweis |
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Junge Blätter | 2–3× kalt wässern oder kurz blanchieren | Weniger Bitterkeit | Mit Fett+Säure kombinieren |
Blüten | Sirup/Gelee | Süße, Farbe | Sauber lesen |
Wurzeln | Putzen, längs vierteln, dunkel rösten | Kaffeeersatz | Geruch: röstig, nicht verbrannt |
Ration: Löwenzahn–Pfanne mit Nussstreu
- Geblanchierte Blätter 180 g ≈ 60–70 kcal
- Hasel/Walnuss 25 g ≈ 155–175 kcal
- Essigspritzer, Salz
Vorgehen: Blätter kurz schwenken, würzen → Nüsse geröstet darüber. ~215–245 kcal.
Sauerampfer – Rumex acetosa

Pfeilförmige Blattbasis mit zurückgebogenen Öhrchen und der klare, zitronige Geschmack machen Sauerampfer unverwechselbar. Als Würze hebt er Eintöpfe und Saucen, als Massenbeilage taugt er weniger. Kurz garen, nicht zerkochen – und, wenn möglich, mit kalziumreichen Zutaten kombinieren.
Ration: Sauerampfer–Suppe „leicht“
- Sauerampfer 60 g ≈ 15 kcal
- Grundbrühe/Wasser 300 ml
- Fladenbrot/Mehlzugabe nach Verfügbarkeit
Vorgehen: Ampfer kurz in heißer Brühe ziehen lassen; mit Stärkequelle servieren. Kalorien kommen aus der Beilage.
Schafgarbe – Achillea millefolium

Sehr fein gefiederte Blätter und flache Scheindolden kennzeichnen die Schafgarbe. Ihr herbes, ätherisch-kräuteriges Profil funktioniert in kleinen Dosen als Würzwerkzeug – zu viel lässt Gerichte bitter wirken. Tee aus Blüten/Blättern mit heißem, nicht kochendem Wasser aufgießen.
Gundermann – Glechoma hederacea

Der kriechende Lippblütler bringt mit wenigen Blättchen erstaunlich viel Würze in Teige, Kräuterbutter oder Eintopf. Er ist kein Volumenbringer, sondern ein Aromaschalter. Sehr fein hacken und erst am Ende der Garzeit zugeben.
Knoblauchsrauke – Alliaria petiolata

Zerreibt man die herzförmigen Blätter, tritt der namensgebende Knoblauchduft zutage. Jung geerntet ist die Rauke mild-aromatisch, später wird sie schärfer und bitterer. Ideal in Pesto-Ansätzen mit Öl/Nuss/Samen oder fein gehackt in Fladenteig.
Bärlauch – Allium ursinum (nur bei 100 % Sicherheit)

Bärlauch liefert viel Aroma in kurzer Zeit – aber nur aus reinen Beständen. Jedes Blatt einzeln pflücken und zwischen den Fingern verreiben: deutlicher Knoblauchduft ist unverzichtbar. Keine Mischbestände akzeptieren.
Ration: Bärlauch–Pesto „feldtauglich“
- Bärlauch 50 g ≈ 20–25 kcal
- Hasel/Walnuss 30 g ≈ 190–210 kcal
- Etwas Öl/Fett (optional)
Vorgehen: Fein hacken, mit Nuss/Fett zu streichfähiger Paste verreiben; dünn auf Fladen.
Übersichten: Saison, Aufbereitung, Praxis
Pflanze | J | F | M | A | M | J | J | A | S | O | N | D |
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Brennnessel (Blätter) | ● | ● | ● | ● | ○ | ○ | ○ | |||||
Brennnessel (Samen) | ○ | ● | ● | ● | ○ | |||||||
Vogelmiere | ○ | ○ | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ○ | ○ |
Giersch | ● | ● | ● | ○ | ○ | |||||||
Spitzwegerich | ○ | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ○ | ||||
Löwenzahn (Blätter) | ● | ● | ● | ○ | ○ | ○ | ○ | ○ | ||||
Sauerampfer | ○ | ● | ● | ● | ○ | |||||||
Schafgarbe | ○ | ● | ● | ● | ● | ○ | ||||||
Gundermann | ○ | ○ | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ● | ○ | ○ |
Bärlauch | ○ | ● | ● | ○ |
Problem | Beispiele | Technik | Praxis |
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Bitterstoffe | Löwenzahn alt | Wässern/Blanchieren | 2–3× kalt wässern oder 1–2 min blanchieren; mit Fett/Säure kombinieren |
Brennhaare | Brennnessel | Reiben/Hitze | Kräftig rollen/zerdrücken oder kurz blanchieren |
Oxalate | Sauerampfer | Kurz garen, mischen | Mit kalziumreicher Komponente kombinieren; Alu vermeiden |
Herbe Aromen | Gundermann, Schafgarbe | „Würz-Einsatz“ | Sparsam nutzen, nicht als Hauptgemüse |
Survival-Praxis: Hygiene, Volumen, Energie
Hygiene: Möglichst fern von Straßen, Hundezonen und Einleitungen sammeln; gründlich spülen.
Volumen: Wiesenkräuter liefern Masse und Mikronährstoffe – sättigen allein aber kaum.
Energie: Kalorien kommen primär über Samen/Nüsse und Stärke (Kartoffel, Eichel-/Wurzelmehle). In der Praxis: Grün + Fettquelle + Stärke kombinieren.
Volumen-Schätzer: „Wie viel Kraut brauche ich für 150 kcal?“
Ergebnis: –
Erinnerung: Blattgemüse ist wasserreich – energetisch ergänzen mit Samen/Nüssen/Wurzeln.
Konservierung & Haltbarkeit
Trocknen: Dünn ausgebreitet, schattig/luftig (oder 35–40 °C Luft). Dunkel und dicht lagern. Aroma-Kräuter (Gundermann, Schafgarbe) behalten Würzkraft, Blattgemüse verliert Volumen.
Rösten: Samen (z. B. Brennnessel) kurz trocken rösten – Geschmack ↑, Restfeuchte ↓, Haltbarkeit ↑.
Sauer/Salz: Im Feld nur kurzfristig sinnvoll – ohne sterile Gefäße heikel. Hygiene entscheidet.
Alle Angaben konservativ gedacht. Lokale Abweichungen durch Klima/Jahr/Standort sind normal; im Zweifel zugunsten der Sicherheit entscheiden.