Das Drei-Linien-System beschreibt eine strukturierte Art, Ausrüstung in drei Ebenen zu ordnen. Ziel ist, in jeder Lage handlungsfähig zu bleiben – selbst dann, wenn Rucksack, Fahrzeug oder Teile der Ausrüstung verloren gehen. Ursprünglich findet man das Konzept im militärischen Bereich, es lässt sich aber sehr gut auf ziviles Survival, Bushcraft und Prepping übertragen.
Die Grundidee ist einfach:
Erste Linie = alles direkt am Körper.
Zweite Linie = alles, was in einer Trageausrüstung wie Rucksack oder Chest-Rig mitgeführt wird.
Dritte Linie = Reserve und Depotmaterial an stationären Orten, im Fahrzeug oder in einer Bug-Out-Location.
Statt nur möglichst viel Ausrüstung zu sammeln, zwingt das Drei-Linien-System dazu, über Prioritäten, Redundanz und Verlustszenarien nachzudenken. Es macht sichtbar, welche Ausrüstung wirklich überlebenswichtig ist und welche nur Komfort oder Reichweite bringt.
I. Grundprinzip und Ziel des Drei-Linien-Systems
Im Kern beantwortet das Drei-Linien-System die Frage:
Was bleibt mir, wenn ich nach und nach Ausrüstung verliere oder zurücklassen muss?
Die erste Linie stellt sicher, dass eine Person mit dem auskommt, was direkt am Körper getragen wird. Die zweite Linie erhöht Reichweite und Durchhaltevermögen, solange ein Rucksack oder ähnliches Tragesystem verfügbar bleibt. Die dritte Linie dient als Rückhalt und Nachschub, wenn man Zugang zu Fahrzeug, Lager oder Wohnung hat.
Das System verfolgt mehrere Ziele:
- klare Priorisierung der Ausrüstung
- Reduktion unnötiger Doppelungen, aber bewusste Redundanz bei kritischen Funktionen
- bessere Planbarkeit von Flucht, Rückzug, Touren und Krisenszenarien
- einfache Kommunikation in Gruppen (Linie 1 sichern, Linie 2 aufsetzen, Linie 3 anfahren)
So entsteht aus einer unübersichtlichen Sammlung von Ausrüstung ein klarer Aufbau, der zu verschiedenen Szenarien wie Bug-In, Bug-Out, Get-Home oder mehrtägigen Touren passt.
II. Erste Linie – Körpernahe Ausrüstung
Die erste Linie umfasst alle Gegenstände, die direkt am Körper getragen werden, ohne dass ein Rucksack nötig ist. Dazu gehören Gürtel, Hosentaschen, kleine Pouches, Neck-Taschen oder unauffällige Schulterholster für Ausrüstung. Fällt alles andere aus, bleibt diese Linie übrig. Sie ist daher das letzte Sicherheitsnetz.
Typische Ziele der ersten Linie:
- unmittelbare Handlungsfähigkeit herstellen
- minimale medizinische Versorgung ermöglichen
- Feuer, Licht, einfache Reparaturen und Orientierung sicherstellen
- Zugang zu wichtigen Dokumenten, Geld und Kontakten wahren
Beispiele für Inhalte der ersten Linie:
- kleines Alltagsset mit Messer oder Multitool, Taschenlampe, Feuerzeug oder Feuerstahl, Stift und Papier
- minimales medizinisches Set mit Pflastern, wenigen Kompressen, Desinfektion und persönlichen Medikamenten in Kleinstmenge
- grundlegende Orientierungshilfen wie Mini-Kompass und wichtige Adressen oder Treffpunkte auf Papier
- Mobiltelefon in robuster Hülle, etwas Bargeld in kleiner Stückelung, Ausweis oder Kopie wichtiger Dokumente
In der Praxis ist die erste Linie immer ein Kompromiss zwischen Alltag und Krisenfall. Wer im Büro arbeitet, kann nicht mit vollem Gürtelbestückungsprogramm auftauchen. Trotzdem lässt sich vieles unauffällig integrieren, etwa durch klug gewählte EDC-Lösungen. Entscheidend ist, dass diese Linie wirklich täglich getragen wird und nicht im Schrank bleibt.
III. Zweite Linie – Rucksack, Chest-Rig und Hauptausrüstung
Die zweite Linie ist die eigentliche Trageausrüstung. Dazu zählen Tagesrucksack, BOB, Get-Home-Bag, Chest-Rig oder ähnliche Systeme. In dieser Ebene liegt der Ausrüstungskern, mit dem ein Mensch mehrere Tage im Gelände auskommen oder eine längere Störung durchstehen kann.
Funktionen der zweiten Linie:
- Aufbau von Unterkunft und Wetterschutz
- Sicherstellung von Wasser und Nahrung
- erweiterte medizinische Versorgung
- Reparatur, Werkzeug, Licht und Energieversorgung
- Ergänzung und Redundanz zur ersten Linie
Typische Inhalte einer zweiten Linie im Survival- oder Prepper-Kontext:
- Wetterschutz durch Tarp, Biwaksack, leichte Isomatte oder kleines Zelt
- Wasserflaschen oder Trinkblase, Wasserfilter, Entkeimungsmittel und eventuell Faltkanister
- Nahrungsmittel wie Riegel, Trockenmahlzeiten und Notrationen, dazu eine einfache Kochlösung mit Topf
- Wechselkleidung, trockene Socken, Mütze, Regenkleidung oder Poncho
- erweitertes Erste-Hilfe-Set mit Verbandsmaterial, Blasenpflastern, Schmerzmitteln und Hygienegrundstock
- Werkzeuge wie feststehendes Messer, Säge oder Klappsäge, Multitool, Schnur, Klebeband und Nähmaterial
- Stirnlampe, Ersatzbatterien, Powerbank und bei Bedarf ein kleines Solarpanel
- Karte, Kompass und gegebenenfalls Funkgerät je nach rechtlichen Möglichkeiten und persönlichem Schwerpunkt
Wichtig ist die Abstimmung zwischen erster und zweiter Linie. Feuerzeug und Messer in der ersten Linie werden durch zusätzliche Zündmittel und größere Werkzeuge in der zweiten Linie ergänzt. Geht der Rucksack verloren, darf die erste Linie nicht komplett vom Inhalt der zweiten Linie abhängig sein, sondern sollte alleine noch grundlegende Funktionen abdecken.
IV. Dritte Linie – Depot, Fahrzeug und stationäre Reserve
Die dritte Linie umfasst Vorräte und Ausrüstung, die nicht ständig getragen werden. Sie befindet sich zu Hause, im Fahrzeug, in einer Garage, einem Kellerraum oder in externen Depots. Diese Ebene ist für lange Zeiträume gedacht und dient als Nachschub für erste und zweite Linie.
Aufgaben der dritten Linie:
- langfristige Versorgung über Wochen oder Monate
- Ersatz und Nachladen von Verbrauchsmaterial für die tragbare Ausrüstung
- Aufbau von Basen, Rückzugsorten oder Bug-Out-Locations
- Lagerung von Ausrüstung, die zu schwer oder zu sperrig für den täglichen Transport ist
Beispiele für Inhalte:
- Lebensmittelvorräte in Form von Konserven, Trockenware, Langzeitnahrung und Lagervorräten
- umfangreiche Wasserreserven und größere Wasseraufbereitungssysteme
- Werkstatt- und Reparaturwerkzeuge, Spaten, Axt, Sägen und Material für Instandsetzung
- zusätzliche Kleidung für verschiedene Jahreszeiten, Decken, Schlafsäcke, Matten
- Energieerzeuger wie kleine Notstromaggregate, Brennstoffvorräte, Ladegeräte, größere Funkgeräte und Antennen
- wichtige Dokumente, Datensicherungen, Karten, Pläne und Checklisten
In vielen Lagen ist das Ziel, mit der ersten und zweiten Linie die dritte Linie wieder zu erreichen. Wer unterwegs improvisieren muss, versucht sich so zu bewegen, dass er Fahrzeug, Wohnung, Hof oder vorbereitete Bug-Out-Location wieder sicher nutzen kann.
V. Anwendung im Prepping
Im Prepping hilft das Drei-Linien-System, verschiedene Szenarien sauber voneinander zu trennen, ohne jedes Mal komplett neu planen zu müssen. Die gleiche Struktur lässt sich auf Bug-In, Bug-Out und Get-Home übertragen.
Beim Bug-In steht die dritte Linie im Mittelpunkt. Sie stellt den Vorrat im Haus und die langfristige Versorgung dar. Die zweite Linie kann als internes Notfallset dienen, etwa für kurzfristige Evakuierungen, Stromausfall im eigenen Gebäude oder die Versorgung einzelner Personen. Die erste Linie bleibt das kleinste Set am Körper, das auch innerhalb der Wohnung oder bei kurzen Wegen mitgeführt werden kann.
Beim Bug-Out ist die zweite Linie meist der klassische Fluchtrucksack. Die dritte Linie ist das Ziel, an dem eine längere Versorgung möglich ist, zum Beispiel eine vorbereitete Unterkunft oder ein Hof. Die erste Linie unterstützt den Weg dorthin und sorgt dafür, dass man nicht völlig hilflos ist, wenn Rucksack oder Fahrzeug kurzfristig nicht verfügbar sind.
Im Get-Home-Szenario ist die erste Linie das tägliche EDC, die zweite Linie ein im Fahrzeug oder Spind hinterlegter Rucksack und die dritte Linie das Zuhause oder ein definierter Treffpunkt. Geht etwas schief, kann man mit der ersten Linie an den Rucksack der zweiten Linie gelangen und von dort aus den Weg zur dritten Linie antreten.
VI. Planung, Wartung und typische Fehler
Damit das Drei-Linien-System funktioniert, braucht es mehr als einmaliges Packen. Ausrüstung muss regelmäßig kontrolliert, gewartet und an Jahreszeiten sowie Lebensumstände angepasst werden. Medikamente laufen ab, Batterien entladen sich, Schuhe verschleißen, Kleidung passt irgendwann nicht mehr oder ist für die aktuelle Witterung ungeeignet.
Typische Fehler bei der Umsetzung:
- erste Linie ist zu schwer oder zu voll und wird deshalb im Alltag nicht getragen
- zweite Linie ist überladen, schlecht organisiert und dadurch wenig praxistauglich
- dritte Linie ist zwar vorhanden, aber ohne klare Struktur und ohne aktuelle Bestandsübersicht
- Redundanzen fehlen bei kritischen Funktionen wie Feuer, Wasser, Licht und Kommunikation
- Gruppenmitglieder kennen die Linienstruktur nicht und packen unsystematisch
Eine sinnvolle Vorgehensweise besteht darin, zunächst die erste Linie sauber zu definieren, dann eine zweite Linie aufzubauen, die diese sinnvoll ergänzt, und erst danach die dritte Linie auszuweiten. Wer in der Praxis testen will, ob seine Struktur trägt, kann bewusst Touren oder Übungen machen, bei denen einzelne Linien wegfallen und nur mit dem gearbeitet wird, was übrig bleibt.