In einer Survivalsituation wirkt es oft wie ein Glücksfall, wenn man genügend Regen- oder Schmelzwasser findet. Schließlich sind diese Quellen häufig in großen Mengen verfügbar, wirken klar und sauber und scheinen frei von sichtbaren Verunreinigungen zu sein. Doch genau hier lauert eine unterschätzte Gefahr. Regen- und Schmelzwasser sind chemisch betrachtet extrem mineralarm. Das bedeutet, dass der Körper bei ausschließlichem Konsum über längere Zeit keine ausreichenden Elektrolyte erhält. In einer Umgebung, in der der Bedarf an Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium ohnehin erhöht ist, kann das schnell zu einer Hyponatriämie führen – einer Form der Wasservergiftung, die unter Extrembedingungen tödlich enden kann.
Die physiologischen Folgen sind dramatisch. Sinkt der Natriumwert im Blut unter etwa 135 mmol/l, verändert sich der osmotische Druck zwischen Zellen und Blutplasma. Wasser strömt in die Zellen ein, sie schwellen an, und besonders im Gehirn kann dies zu gefährlichen Ödemen führen. Erste Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit werden oft übersehen oder auf Erschöpfung geschoben, während sich der Zustand im Hintergrund weiter verschlechtert. In fortgeschrittenen Stadien können Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit und Atemstillstand auftreten.
Mineralstoffarmut im Vergleich
Der Grund für die Gefahr liegt in der Entstehung der Wasserquellen selbst. Regenwasser bildet sich aus kondensiertem Wasserdampf und enthält kaum gelöste Mineralien. Schmelzwasser stammt aus gefrorenem Niederschlag, der ebenso mineralarm ist – es sei denn, er hatte längeren Kontakt zu mineralhaltigen Sedimenten. Im Gegensatz dazu reichert sich Grund- und Quellwasser auf seinem Weg durch Gestein mit Mineralstoffen an.
Wasserquelle | Natrium (Na) | Kalzium (Ca) | Magnesium (Mg) | Kalium (K) |
---|---|---|---|---|
Regenwasser | 0,1–0,5 mg/l | 0,1–1,0 mg/l | 0,05–0,3 mg/l | 0,1–0,5 mg/l |
Schmelzwasser | 0,2–0,8 mg/l | 0,1–1,5 mg/l | 0,05–0,5 mg/l | 0,1–0,6 mg/l |
Fluss-/Quellwasser | 5–50 mg/l | 20–100 mg/l | 5–50 mg/l | 1–10 mg/l |
Mineralwasser (hart) | 50–500 mg/l | 50–500 mg/l | 20–150 mg/l | 1–20 mg/l |
Diese Zahlen zeigen deutlich, wie groß der Unterschied zwischen vermeintlich „reinem“ Regen- oder Schmelzwasser und mineralreichem Trinkwasser ist. In einer Überlebenslage, in der der Körper durch Kälte, Anstrengung und Stress ohnehin mehr Mineralien verbraucht, kann der Mangel schnell kritisch werden.
Einflussfaktoren in Outdoor- und Survival-Szenarien
Das Risiko steigt erheblich, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen.
Dazu gehören vor allem:
- Monotone Wasserquellen – ausschließlich Regen oder Schnee als Trinkquelle
- Hohe körperliche Belastung – Marschieren, Holzarbeiten, Biwakbau
- Ungünstige Trinkgewohnheiten – in Kälte selten trinken, dann große Mengen auf einmal
- Zusätzliche Belastungen – Durchfall, Erbrechen oder offene Wunden erhöhen den Elektrolytverlust
Besonders gefährlich sind alpine Winterregionen und arktische Gebiete, in denen Schnee oft die einzige verfügbare Wasserquelle ist. Tropische Regenwälder bergen das gegenteilige Problem: große Mengen Regenwasser, kombiniert mit starkem Schwitzen und hohem Salzverlust.
Strategien zur sicheren Nutzung von Regen- und Schmelzwasser
Wer in einer Survivalsituation auf solche Quellen angewiesen ist, sollte sie niemals über längere Zeit ohne Mineralergänzung trinken.
Effektive Methoden zur Anreicherung sind:
- Zusatz von Salz oder Elektrolyten – einfache Salzlösung (NaCl) im Wasser, idealerweise kombiniert mit etwas Zucker zur besseren Aufnahme.
- Nutzung mineralhaltiger Pflanzen – Brennnesseln, Löwenzahn, Gänsefuß oder Wegerich als Teeaufguss ins Trinkwasser geben.
- Tierische Brühen – Knochen oder Fleisch auskochen, um Calcium, Magnesium und Natrium ins Wasser zu bringen.
- Reiben von Steinen – Kalkstein oder Dolomit für Calcium/Magnesium, Halit (Steinsalz) für Natrium, Basalt mit Feldspatanteil für Kalium.
Outdoor-Praxis: Reiben von Steinen zur Mineralanreicherung
Das gezielte Reiben von mineralhaltigem Gestein kann in abgelegenen Regionen eine wertvolle Methode sein, um Trinkwasser aufzuwerten. Kalkstein liefert Calciumcarbonat, Dolomit enthält zusätzlich Magnesium. Halit – erkennbar am salzigen Geschmack – liefert direkt Natriumchlorid. Das abgeriebene Gesteinsmehl wird ins Wasser gegeben, einige Minuten ziehen gelassen und anschließend grob gefiltert. So gelangen gelöste Mineralien ins Trinkwasser, ohne dass der Geschmack zu stark beeinträchtigt wird. Diese Technik erfordert jedoch Wissen über die Gesteinsarten, um toxische Mineralien zu vermeiden.
Improvisierte Elektrolytgetränke
Eine bewährte Basislösung für den Outdoor-Einsatz besteht aus einem Liter abgekochtem Wasser, etwa einem Gramm Salz (eine Messerspitze) und ein bis zwei Gramm Zucker oder Honig. Der Zucker beschleunigt die Aufnahme von Natrium im Darm. Mit einem Pflanzenaufguss – beispielsweise aus Brennnesseln – lässt sich zusätzlich Kalium und Magnesium zuführen. Bei Verfügbarkeit können auch getrocknete Beeren oder Fruchtpulver beigemischt werden, um den Kaliumgehalt zu erhöhen.
Übersicht: Risiken und Gegenmaßnahmen
Problem | Ursache | Gegenmaßnahme |
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Hyponatriämie | Hoher Konsum elektrolytarmen Wassers | Salz, mineralhaltige Pflanzen, Steinsalz |
Mineralstoffmangel | Fehlende Langzeitzufuhr | Pflanzentees, Brühen, Gesteinsmehl |
Keimbelastung | Sammel- oder Lagerverunreinigung | Filtern, abkochen |
Chemische Belastung | Luftschadstoffe, Dachmaterialien | Direkte Sammlung, Vorfiltration |